Es ist Donnerstag, 17:00 Uhr, in einer Wohnsiedlung am Ortsrand. Ein fremder Mann, nennen wir ihn Ede, streift zu Fuß durch die Straßen des Quartiers auf der Suche nach einem „Arbeitsplatz“ für sein Gewerbe. Sein Auto hat er an der Hauptstraße stehen gelassen. Es ist dunkel und der Jahreszeit entsprechend kalt. Darum trifft er auch nicht viele Menschen auf der Straße. Ein Blick auf die Häuser zeigt ihm schnell, wo sein geplanter Besuch stattfinden könnte.
Er findet an der nächsten Ecke auch schon das, was er sucht. Eine Gelegenheit, vollkommen ungestört seinem Gewerbe nachzugehen: der Einverleibung fremden Eigentums zur egoistischen Vermehrung des eigenen Kapitals.
Die Garage des Einfamilienhauses steht sperrangelweit offen und ist leer. Im gesamten Haus brennt kein Licht. Ede geht zur Haustür und klingelt, es öffnet niemand. Mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht geht er langsam in den Garten. Er findet dort eine Terrassentür vor, mit der er sich eingehend beschäftigen wird. Beim dritten Hebelversuch springt die Tür, mit einem nicht ganz leisen Geräusch, auf. Er zuckt etwas zusammen, lauscht einen Moment in die Dunkelheit und geht ins Haus. Bereits im Flur findet er ein Portemonnaie mit 70,- € Bargeld, einer EC-Karte und einer vierstelligen Zahl auf einem Zettel. „Volltreffer“, schießt es durch seinen Kopf. Im Wohnzimmer liegen ein Tablet und eine hochwertige Herrenarmbanduhr auf dem Tisch. Beides wandert zum Portemonnaie in seinen Rucksack. Schnell noch die Treppe rauf und ins Schlafzimmer. Im Kleiderschrank der Dame des Hauses (er erkennt das an der netten Unterwäsche), beginnt er zu wühlen und findet schließlich eine Schmuckschatulle mit Ketten, Ringen und einer goldenen Damenuhr. Diese Dinge landen ebenfalls im Rucksack.
Ede verlässt das Haus durch die nicht verschlossene Haustür und trifft direkt auf einen Mann mit Hund, der ihn freundlich grüßt. Auf dem Weg zu seinem Auto denkt er noch: „Wenn das gleich noch mit der EC-Karte an der Bankfiliale klappt, dann mache ich Feierabend für heute. Mein Tagesverdienst liegt dann über dem eines Bankdirektors und mein Stundenlohn gleicht dem eines Fußballprofis - und das auch noch steuerfrei!“
Teil 2
An diesem Donnerstagabend holt Franz Schneider seine Gattin Elfriede gegen 18:30 Uhr von der Arbeit ab. Franz arbeitet seit vielen Jahren als Schreiner und Elfriede ist Verkäuferin in einer Boutique. Im Auto erzählt sie ihrem Gatten, dass sie am heutigen Morgen ihre Geldbörse im Flur auf dem Schränkchen vergessen hat. Als die beiden ihr Haus betreten, merken sie, dass es sehr kalt geworden ist. Kurz darauf sieht Franz die aufgehebelte Terrassentür. „Hier muss ein Einbrecher am Werk gewesen sein“, ruft er seiner Frau zu. „Oh Gott, mein Portemonnaie mitsamt der EC-Karte und der PIN ist weg“, stellt sie daraufhin fest. „Das Tablet und meine Uhr liegen auch nicht mehr im Wohnzimmer“, antwortet er. Elfriede läuft daraufhin die Treppe hinauf. Sie öffnet die Schlafzimmertür und bleibt wie angewurzelt stehen. Ihre Seite des Kleiderschranks ist komplett ausgeräumt. Auch ihre Unterwäsche liegt am Boden. Vor ihrem geistigen Auge sieht sie einen sehr unangenehmen und schmutzigen Mann, der ihre Wäsche aus dem Schrank zieht und zu Boden wirft. Oben auf dem Stapel liegt ihre leere Schmuckschatulle. Elfriede schreit laut auf. Franz kommt sofort hinzu und nimmt seine Frau in den Arm. „Wir dürfen jetzt hier nichts anfassen, bis die Polizei da war“, ermahnt er seine Gattin während er die 110 wählt.
Die Beamten erscheinen, nehmen Aussagen auf und sichern Spuren. Danach steht das Ehepaar im Schlafzimmer vor dem dortigen Chaos. „Die Bank hat gerade angerufen, es sind um 17:45 Uhr hier um die Ecke 2000,- € mit deiner EC-Karte abgehoben worden“, berichtet Franz. „Alles nicht so schlimm, uns ist zum Glück nichts passiert!“
Zwei Stunden später haben die zwei aufgeräumt und liegen in ihrem Bett. Elfriede gehen die Worte ihres Gatten nicht aus dem Kopf: „Uns ist zum Glück nichts passiert!“ Komisch sie fühlt sich anders. Wieder erscheint der ungepflegte Mann vor ihrem geistigen Auge. Mit seinen Händen im Schrank berührt er nicht nur ihre Wäsche, sondern auch ihre innerste Privatsphäre. Elfriede springt auf und geht zum Kleiderschrank. „Was ist los?“, fragt Franz. „Ich halte das nicht aus.“ Sie räumt den Schrank komplett aus, trägt ihre Sachen in den Keller und beginnt eine erste Waschmaschine zu packen.
Den Rest der Nacht schläft sie unruhig und wird immer wieder wach. Hat der Einbrecher ihr wirklich nichts getan? Sie ist sich da nicht sicher.
Teil 3
Es ist Donnerstagabend 18:42 Uhr, in der Leitstelle der Polizei klingelt das Telefon. Ein recht aufgeregter Herr berichtet über einen Einbruch in sein Haus. Der Beamte beruhigt den Mann und fragt zunächst, ob eventuell noch ein Täter vor Ort seien könnte. Anschließend bittet er ihn darum, keine Spuren zu verwischen. „Unsere Kollegen von der Kripo werden jetzt von uns verständigt und kommen gleich zu Ihnen.“ Eine halbe Stunde später treffen zwei Polizisten der Kriminal-Wache in Zivilkleidung am Haus der Schneiders ein. Nachdem sie sich einen Überblick verschafft haben, beginnen Sie den Tatort zu fotografieren und nach Spuren des Täters zu suchen. Dabei finden Sie an der Terrassentür Fingerabdrücke, die sie sicherstellen. Franz und Elfriede Schneider werden noch zum Geschehen und zur Beute befragt und nach etwa 90 Minuten verabschieden sich die beiden Kriminalkommissare von den Opfern. Im Büro zurück wird der Einbruch komplett niedergeschrieben, die Fotos werden auf den Computer übertragen und die sichergestellten Spuren dokumentiert. Tage später wird sich herausstellen, dass dieselben Fingerabdrücke bereits an vier anderen Tatorten aufgefunden wurden. Wem sie jedoch gehören, bleibt weiter unbekannt. Am Tag nach der Tat meldet sich ein Opferschutzbeauftragter der Polizei bei den Schneiders, um Hilfe anzubieten. Elfriede nimmt nach ihrer schlaflosen Nacht dieses Angebot gerne an. Sie ist sich sicher, dass Sie Hilfe braucht, um das Trauma verarbeiten zu können. … Zwei Jahre später wird in einem anderen Bundesland ein Einbrecher auf frischer Tat festgenommen. Seine Fingerabdrücke konnten bei insgesamt 27 Tatorten gefunden werden - auch an der Terrassentür der Schneiders. Elfriede hat nach 14 Monaten ihre Traumatherapie erfolgreich beenden können. Franz würde nie wieder in einer solchen Situation vorschnell sagen: „Alles nicht so schlimm, uns ist zum Glück nichts passiert!“
Dies ist der letzte Teil unserer frei erfundenen Geschichte. Sie soll einen Einbruch aus Sicht aller Beteiligten zeigen. So oder ähnlich passieren Einbrüch täglich in unserem Land.