Die Sparkasse in Köln-Porz. Es ist der letzte Tag im August, Tag der Rentenauszahlung. Der Wetterbericht hat Regen gemeldet. Doch als um 9.30 Uhr die Bankschalter öffnen, scheint die Sonne. Glück für die Seniorinnen und Senioren, die bereits vor der Tür gewartet haben. Glück für die Polizistinnen und Polizisten des Kriminalkommissariats Kriminalprävention/Opferschutz, die an weißen Stehtischen vor der Filiale stehen, Faltblätter verteilen, über Trickbetrüger informieren. Das Thema ist aktueller denn je. Mit immer neuen Tricks bringen „falsche Enkel“ ältere Leute um ihr Hab und Gut – systematisch, skrupellos.
Allein 1.200 Straftaten zum Nachteil älterer Menschen registrierte die Polizei Köln im vergangenen Jahr: „Hallo Opa, ich hatte einen Unfall. Bitte, bitte, ich brauche ganz schnell Geld.“ „Hallo Oma, gleich kommt einer vorbei und holt es für mich ab.“ Und deshalb ist die Polizei heute ausgerückt: Damit die Seniorinnen und Senioren, die hier ihr Geld abheben, gar nicht erst Opfer werden. Rentnerinnen und Rentner mit Rollatoren bleiben stehen. Eine alte Dame erzählt: „Mich hat auch schon einer angerufen. Ich hab den Hörer aufgeworfen.“ Die Beamtin lobt. Die Rentnerin lacht, steckt eine Broschüre ein: „Man weiß ja nie. Danke, einen schönen Tag.“ So geht das den ganzen Vormittag.
Aufklären, mahnen, warnen. Viele Jahre waren Aktionstage wie in Köln-Porz der Inbegriff von Prävention: nah bei den Bürgerinnen und Bürgern, den Sorgen und Problemen, draußen auf der Straße. Doch in Zeiten des digitalen Wandels stellt sich die Frage: Was können nette Gespräche und Flyer gegen ein Heer organisierter Trickbetrüger ausrichten, die technisch immer weiter aufrüsten und mithilfe von Computer-Bots jeden Tag Millionen automatisierte Nachrichten an Millionen Smartphones rausjagen – nicht nur an Seniorinnen und Senioren. Die Antwort: viel zu wenig. Deshalb reagiert die Polizei konsequent und zieht auch in den digitalen Kampf gegen die Digital-Gangster.
Anfang März hat im Kölner Polizeipräsidium das wohl modernste digitale Beratungs- und Präventionszentrum Europas seine Arbeit aufgenommen. Wenn die Täterinnen und Täter mit der Streukanone im Netz Jagd auf Opfer machen, dann will die Polizei ihnen auch im Netz das Wasser abgraben. 1,7 Millionen Euro hat die Landesregierung in den digitalen Servicepoint investiert.
„Wenn wir Kriminalität erfolgreich verhindern, brauchen wir sie im Nachgang nicht zu bekämpfen“, sagte Innenminister Herbert Reul bei der Eröffnung. Ziel der Landesregierung sei es, möglichst viele Menschen zu erreichen, damit die Falle gar nicht erst zuschnappt, wenn Täter etwa am Telefon verzweifelte Enkel mimen. Wenn dabei Künstliche Intelligenz ihre Stimmen täuschend echt klingen lässt und sie mithilfe von Software sogar Rollenspiele inszenieren.
Immer häufiger finden Verbrechen im Internet statt: Phishing, Scamming, Grooming, Sextortion, Ransomware-Attacken sind Begriffe aus der Welt der Cyberkriminalität. Die wenigsten Bürgerinnen und Bürger wissen, was das ist. Bis sie zu Opfern werden. Insgesamt mehr als eine Million Anzeigen bearbeitet die Polizei in Nordrhein-Westfalen jedes Jahr. Die Dunkelziffer schätzt sie sehr viel höher ein. Der Schaden geht in die Milliarden, von der Verzweiflung und der Scham der Opfer ganz zu schweigen. Mit der Arg- und Ahnungslosigkeit soll es nun vorbei sein. Dafür sorgt das Team des Beratungszentrums in Köln.
Walter-Pauli Ring 2, Erdgeschoss links, direkt hinter einer Glastür im Foyer: Sechs Monate nach der Flyer-Aktion in Köln-Porz Cybercrime, Gewalt, Senioren, Jugend, Einbruchschutz, Verkehrssicherheit.
Präventionsexpertin Elke Döhler schiebt einen farbigen Puck auf einen Kreis in der Mitte des Desktops. Er ist von vier flachen Banden eingefasst, ähnlich wie bei einem Billardtisch. Auf der runden Scheibe steht: Senioren. Das Display schaltet sich ein, AnimeZeichnungen und Stichwörter ploppen auf: „Schockanruf“, „Enkeltrick“, „Falsche Polizisten“, „Trickbetrug“. Alles wird auf fünf große FlatscreenBildschirme an der Wand übertragen. Unter jedem Menü-Punkt gibt es weitere Informationen. Spielerisch lernen die Besucherinnen und Besucher alle Tricks der Verbrecher kennen. Und vor allem: wie man sich vor ihnen schützt. Infos, Filme und Fotos können sie per QR-Code auf ihr Handy laden – sogar Quiz-Spiele à la „Wer wird Millionär?“ gibt es: eine Frage, vier Antworten – nur eine ist richtig. Die muss man anklicken.
Come in and find out“ – dieser Gedanke steckt hinter dem Konzept, das vor allem eines will: „Vorbeugung aus dem Schattendasein rausholen und zukunftsfähig machen“, sagt Kriminalhauptkommissar Hans Hülsbeck, zuständig für Prävention und Opferschutz beim Landeskriminalamt. 2021 wurde ein Team zusammengestellt, das die Idee für eine Art Concept Store mit Showroom entwickelt hat. „Wenn die Leute reinkommen, soll es bäm machen“, sagt er. Deshalb gibt es viele Nischen, in denen die Bürgerinnen und Bürger auf Entdeckungsreise gehen und selbst etwas ausprobieren können.
Das Team suchte einen Standort, der folgende Bedingungen erfüllt: Erdgeschoss, viel Licht, genug Platz und – möglichst Laufkundschaft. Im April 2023 rückten am Walter-PauliRing die Handwerker an. Eben dort, wo jetzt der frühere Landeskriminaldirektor Johannes Hermanns Polizeipräsident und Hausherr ist. Seit Jahren fordert er, dass Prävention mit der Zeit gehen muss. Das passte. „Die Beratung beschränkt sich nicht nur auf die neuen Räume. Wir können uns von hier aus direkt zu den Menschen vor Ort schalten“, sagt Hermanns.
Es gab schon erste Online-Elternabende zum Thema „Gefahren im Internet“, an denen nicht nur ein paar Interessierte einer Klasse, sondern fast 2.000 Mütter und Väter von Schülerinnen und Schülern aus Köln und Leverkusen teilnahmen. Das Prinzip soll künftig auf alle Bereiche übertragen werden, auch bei der Aufklärung von Seniorinnen und Senioren. „Ältere Menschen sind oft in ihrer Mobilität eingeschränkt. Wir haben jetzt die Möglichkeit, sie online in ihren Wohnungen oder in ihrem sozialen Umfeld zu erreichen und zu beraten“, erklärt Kriminalhauptkommissar Thomas Jansen. Er leitete viele Jahre Mordkommissionen, bevor er ins Präventionsteam von Ralf Trippe wechselte. Trippe selbst kam aus dem Staatsschutz und dem Kampf gegen die Organisierte Kriminalität. Jetzt bereiten sich beide auf eine neue Aufgabe vor: das Leben vor der Kamera.
Noch werkeln Techniker in dem Raum, in dem nichts mehr ist, wie es mal war: Wände weg. Schreibtische weg. Selbst die Sicherheitsschlösser und abschließbaren Fenstergriffe, die sie für die Einbruchschutzberatung brauchen, liegen jetzt in einem Schrank, neben Fahrradhelmen und -schlössern für die Verkehrssicherheit. „Anfassen ist wichtig. Deshalb holen wir sie noch raus“, sagt Trippe. Doch die eigentlichen Beratungen finden vorwiegend an Tablets statt, auf denen mit 3D-Technik unzählige Möglichkeiten dargestellt werden können. Ähnlich bei Virtual-RealityBrillen, die die Expertinnen und Experten für Verkehrssicherheit einsetzen. Schüler können so in die Rolle von Lkw-Fahrern schlüpfen und selbst erleben, was passieren kann, wenn Fußgänger oder Fahrradfahrer in einem toten Winkel die Straße überqueren.
„Die Polizei muss nah am Bürger, nah am Menschen sein. Dafür gehen wir mit der Zeit“, sagt der Direktor des Landeskriminalamts NRW Ingo Wünsch. Ziel sei es, „vor die Lage“ zu kommen, also zu agieren, bevor man nur noch reagieren kann. Deshalb flimmert dem Besucher schon im Eingangsbereich ein großes ACHTUNG entgegen und das Thema des Tages: „Die neuesten PhishingMails – Aktuelle Betrugsversuche in Ihrem E-Mail-Postfach.“ Dann ein Link: „Mehr dazu hier in der Beratungsstelle.“ Da herrscht an diesem Morgen Hektik.
Wir müssen uns an die neue Technik gewöhnen“, sagt Trippe und wischt über eines von fünf Touch-Tablets, die an Wänden und Säulen verbaut sind. Mit ihnen kann er die Technik überall im Raum steuern. Auf einem hochauflösenden LED-Screen im TV-Studio werden Tipps gegen Enkeltrick-Betrüger eingeblendet. Touch: Ein Film wird abgespielt. Trippe kann per Knopfdruck auch Grafiken oder Fahndungsfotos einschieben – so wie man das aus Talkshows oder Nachrichtensendungen kennt. An einem Stahlgestell hängen vier Kameras. Touch: Ein Rednerpult steht in gleißendem Licht. Touch: Das Rednerpult erscheint in der Totalen. Im Mittelpunkt steht jetzt eine kleine Sitzgruppe auf der Bühne. Dort sollen Interviews stattfinden.
„Wer weiß, vielleicht geht in nicht so ferner Zukunft sogar ein Kripo-TV online, das Kommissare moderieren“, sagt Kriminalhauptkommissar Hülsbeck vom LKA. Themen gäbe es genug. „So mache ich mein Haus sicher.“ Oder: „So schütze ich mich vor Hate-Speech.“ Alle Jahre wieder gemeinsam mit der Feuerwehr: „Brandschutz im Advent.“ Denkbar wäre ein Format wie bei „Hart, aber fair“. Ein Kripo-Moderator interviewt Gesprächspartner, spielt Filme ein. Zuschauer können über einen ChatBot Fragen stellen. „Das wäre mein Traum“, sagt Hülsbeck.
IM NRW / Tim Wegner
Concept Store mit Showroom