Wer regelmäßig auf der Autobahn unterwegs ist, hat es schon erlebt: Lkws, die in den Ein- und Ausfahrten von Rastplätzen oder sogar auf dem Standstreifen und in Nothaltebuchten stehen. Alltag in Deutschland, denn es gibt viel zu wenig Parkplätze für Lkws. In ihrer Not stellen die Fahrerinnen und Fahrer ihre Trucks illegal ab und riskieren damit nicht nur ihre eigene Sicherheit, sondern auch die anderer. „Die Warnweste über dem Auspuff oder das Warnblinklicht sollen dann verhindern, dass jemand in die parkenden Lkws fährt. Entspannt schlafen und sich ausruhen kann man in so einer Situation aber nicht“, sagt Polizeikommissarin Vanessa Kuhlage über die Geisterparker. Die 23-Jährige hat vergangenes Jahr ihren Bachelor an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) NRW in Münster abgeschlossen. Das Thema ihrer Abschlussarbeit: Lkw-Parkplatzmangel. „In Deutschland fehlen etwa 35.000 Parkplätze und es werden immer mehr Lkws auf den Straßen.“
Und so sind am Ende ihres Arbeitstages viele Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer lange auf der Suche nach einem geeigneten Stellplatz. Das führt zu Übermüdung und erhöht damit das Risiko, einen Verkehrsunfall zu verursachen. „Sekundenschlaf ist unter Lkw-Fahrerinnen und -Fahrern weit verbreitet“, weiß Kuhlage. Sie kennt deren Dilemma genau. Ihr Vater hat ein Transportunternehmen und fährt selbst Lkw, ebenso wie der Großvater früher. Mittlerweile hat er sich darauf spezialisiert, Schiffsmöbel zu transportieren, meist Richtung Holland ans Meer. „Ich bin mit Lkws aufgewachsen und habe von klein auf mitgeholfen“, erzählt die junge Polizistin. So ist sie auch ab und zu mit ihrem Papa mitgefahren. „Wir mussten am Abend manchmal zehn Rastplätze anfahren, bis wir einen freien Stellplatz für den Lkw gefunden haben.“
Die Parkplatznot ist seit Jahrzehnten akut, doch die bisherigen Untersuchungen hinsichtlich der Lkw-Parksituation weisen deutliche Schwächen auf. Unfälle mit Geisterparkern werden zum Beispiel nicht gesondert erfasst. Auch deshalb führte Kuhlage für ihre Bachelor-Thesis eine Online-Umfrage durch, an der 146 Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer teilnahmen. 94 Prozent der Befragten gaben an, dass der Lkw-Parkplatzmangel in hohem Maße oder absolut verkehrsgefährdend sei. Teilweise sei es bereits ab 17 Uhr unmöglich, einen sicheren Parkplatz zu finden. 83 Prozent gaben an, dass sie bereits Falschparker waren. Sekundenschlaf hatten bereits 64 Prozent. Die Zahlen verdeutlichen die Gefahr, die vom Lkw-Parkplatzmangel ausgeht. Für die Polizei bedeutet das manchmal einen Gewissenskonflikt. Falsch parkende Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer müssen weitergeschickt werden, auch wenn sie die vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten dadurch nicht einhalten. Das regelt die sogenannte Notstandsklausel. „Die Parkplatznot rechtfertigt kein Falschparken. Aber die meisten Polizistinnen und Polizisten haben Verständnis und tolerieren deshalb auch einiges, solange niemand gefährdet ist“, erklärt Kuhlage.
In ihrer Bachelor-Arbeit hat sie auch Lösungswege aufgezeigt und den 5-Punkte-Plan für besseres Lkw-Parken des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) bewertet. So ist es zum Beispiel sinnvoll, in Industriegebieten in Autobahnnähe neue Parkplätze zu schaffen. Telematische Parkverfahren können dabei helfen, Lkws entsprechend ihren Abfahrtszeiten lückenlos hinter- und nebeneinander zu parken. Kuhlage: „Der Parkraum kann so bei gleicher vorhandener Fläche um bis zu 50 Prozent vergrößert werden.“ Eine gute Lösung können auch Parkleitsysteme sein, die Informationen über Lkw-Stellplätze in Echtzeit online erfassen. Die Nutzung solcher Apps ist während der Fahrt allerdings nicht möglich und der angesteuerte Parkplatz kann bei Ankunft unter Umständen schon belegt sein.
Ebenso wie der Vater von Vanessa Kuhlage freuten sich Logistikunternehmen sowie Lkw-Fahrerinnern und -Fahrer, mit denen sie sprach, dass sie sich dem Problem gewidmet hat. Und ihre Arbeit wurde gewürdigt. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) zeichnete sie mit dem 1. Platz des DVR-Förderpreises aus. Doch für Kuhlage ist es das größte Lob, wenn das Thema Aufmerksamkeit bekommt und sich dadurch die Verkehrssicherheit erhöht. Seit einem Jahr arbeitet sie nun auf der Polizeiwache in Coesfeld. Doch der Lkw-Parkplatzmangel beschäftigt sie immer noch. Vor Kurzem war sie Teil des Fernfahrerstammtischs in Münster zum Thema Geisterparker. Dabei tauschen sich Polizistinnen und Polizisten mit Lkw-Fahrerinnen und -Fahrern aus. „Wenn wir dranbleiben, wird die Lage hoffentlich entschärft“, sagt Kuhlage. „In unseren Nachbarländern funktioniert das schon deutlich besser.“ Europas bester Lkw-Parkplatz ist in Frankreich.