Die zunehmende Radikalisierung zeigt sich besonders in Teilen der Querdenker-Bewegung. Fast zehn Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind Rechtsextremisten. Seit März 2020 hat der nordrheinwestfälische Verfassungsschutz die Protestbewegung im Blick, seit Mai dieses Jahres beobachtet er Teile der Szene. Ihre Erkenntnisse veröffentlichte die Sicherheitsbehörde in einem 179-seitigen Sonderbericht zu Verschwörungsmythen und Corona-Leugnern. „Wir sind deutschlandweit das erste Bundesland mit einem Corona-Lagebild“, berichtete Reul. Hier wird deutlich beschrieben, wie die Corona-Leugner-Szene entstehen konnte und warum Verschwörungsmythen und radikale Parolen verfangen. Laut Verfassungsschutz hat sich in den letzten 20 Jahren in Teilen der Bevölkerung eine Unzufriedenheit entwickelt, für die Corona ein Ventil ist.
2020 gab es in NRW insgesamt 6.543 politisch motivierte Straftaten, ein Plus von 8,5 Prozent (2019: 6.032). Der Zuwachs ist allein auf den Bereich „nicht zuzuordnen“ zurückzuführen. Darunter fallen Straftaten, die weder rechts, noch links, noch religiös oder ausländisch motiviert sind. In absoluten Zahlen waren das 1.552 Straftaten im Jahr 2020 (2019: 625), ein Anstieg von 148 Prozent. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden haben vor allem zwei Umstände zu diesem enormen Plus geführt: die Kommunalwahlen im September und die Corona-Pandemie. Reul: „Anfeindungen und Hass-Mails gegen Politikerinnen und Politiker kommen unter anderem aus der Querdenker-Szene. Und wahrscheinlich auch von Menschen aus unserer Mitte oder die früher einmal in unserer Mitte waren.“
Rechtsextremismus bleibt die größte Gefahr für unsere Demokratie: Das Personenpotenzial im Rechtsextremismus ist mit 3.940 Anhängern nahezu unverändert hoch (2019: 4.075). Darüber hinaus gibt es 2.000 gewaltorientierte Rechtsextremisten in Nordrhein-Westfalen. Attentate wie in Hanau und Halle und der Fall der sogenannten Gruppe S. haben gezeigt, wie rechtsextremistische Ideologie Einzelne oder sogar ganze Gruppen zu rechtsterroristischen Angriffen motivieren kann.
Die Mitte wird nicht nur von Rechtsextremisten und Demokratiefeinden attackiert, sondern auch von radikalen Linksextremisten. „Wer Polizisten angreift, wer Firmenmitarbeiter angreift, wie im Hambacher Forst, wer durch Brandanschläge hohe Sachschäden verursacht und Menschenleben gefährdet oder auch nur Schaufenster beschädigt wie in Köln, der tut gar nichts für den Klima- oder Mieterschutz, der ist einfach nur gewalttätig“, sagte Reul.
Die nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden registrieren mehr gewaltorientierte Linksextremisten. Ihre Zahl stieg im vergangenen Jahr von 975 Anhängern auf 1.020. Mit 1.430 Straftaten bzw. einem Plus von 0,4 Prozent im Jahr 2020 (2019: 1.424) stagnieren die Straftaten zwar, Reul betonte aber: „Im Kampf gegen rechts, für Tierschutz oder gegen den Klimawandel ist Gewalt für Linksextremisten immer häufiger das einzig wirksam scheinende Instrument, um ihre Interessen durchzusetzen.“
Die Gefahr durch jihadistischen Terror schätzt der Verfassungsschutz nach wie vor hoch ein. „Wir werden weiterhin von islamistischem Gedankengut bedroht“, sagte Reul und erinnerte vor diesem Hintergrund an die Messerattacke eines radikalen Islamisten in Dresden gegen ein homosexuelles Paar aus Nordrhein-Westfalen: „Ein homophober Angriff durch einen radikalen Islamisten ist auch ein Angriff auf unsere liberalen Werte.“ Ebenso ist der legalistische Islamismus eine Gefahr für die Mitte: Organisationen wie der im Mai verbotene Verein Ansaar International bedienen nicht nur die Interessen von Extremisten, sondern haben Einfluss weit in ein bürgerlich-muslimisches Spektrum hinein. Auch deshalb intensiviert der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz seine Anstrengungen im Kampf gegen den Islamismus.
Auch im Bereich der Spionage- und Cyberabwehr werden mehr Angriffe fremder Mächte auf die Mitte der Gesellschaft festgestellt: „Propaganda und Falschnachrichten, Cyberangriffe und Einschüchterung von Personen und Organisationen haben gewaltig zugenommen. Von 2018 bis 2020 verfünffachte sich sowohl die Zahl der Cyberangriffe als auch die der Opfer. Und vermutlich wird das noch mehr; vor allem jetzt, wo der Bundestagswahlkampf losgeht“, betonte Reul.